Drahtseilakt oder Tanz auf dem Vulkan?

Das Ding mit der Vereinbarkeit

Als mein Mann und ich vor mittlerweile fast zwanzig Jahren heirateten, war uns beiden vollkommen klar, dass wir bestimmt niemals so eine klassische Rollenverteilung in unserer Ehe haben würden wie seine und zum Teil auch meine Eltern. Meine Schwiegereltern führten eine klassische Hausfrauenehe, er brachte das Geld nach Hause, sie kümmerte sich ums Kind, führte den Haushalt, und verdiente, sobald ihre häuslichen Pflichten das zuließen, ein bisschen was dazu. Meine Eltern hingegen waren zwar beide berufstätig – meine Mutter stockte, als wir alt genug waren, wieder auf Vollzeit auf – aber dennoch war meine Mutter mehr oder weniger allein für den Haushalt zuständig. Mein Vater kümmerte sich um den Garten und sanierte nebenher das alte Haus, dass sich meine Eltern nur dank zweier voller Beamtengehälter leisten konnten. In den achtziger Jahren galt so eine Konstellation als ziemlich fortschrittlich. Im Kreis unserer Mitschüler:innen hatten meine Schwester und ich einen regelrechten Exotenstatus, weil unsere Mutter arbeiten ging.

Man sollte meinen, diese Zeiten wären vorbei. Als junge Ehefrau war ich jedenfalls fest davon überzeugt, dass das bei uns anders laufen würde. Warum auch nicht? Wir waren beide voll berufstätig, verdienten unser eigenes Geld, und machten alles vom Haushalt über die Steuererklärung bis zur Urlaubs- und Freizeitplanung gemeinsam. Natürlich hätte mir auch damals schon klar sein können, dass a) ich deutlich weniger verdiente als mein Mann (trotz vergleichbarer Abschlüsse), und dass b) mein Mann im Rahmen seines Jobs in der Maschinenbaubranche viele Überstunden kloppte und viel dienstlich unterwegs war, manchmal über Wochen. Wer von uns beiden würde also, wenn ein Kind kam, zuhause bleiben? Natürlich ich. Alles andere war schlicht nicht möglich.

Und so kam es dann auch. Beim ersten Kind, geboren 2009, schnappte die Falle zu. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon ein paar Jahre freiberuflich tätig, und redete mir die Sache schön: „Ein Jahr Elterngeld, dann such ICH MIR (nicht WIR UNS) eine Tagesmutter und fange wieder an.“ Mein Mann ging weiter arbeiten und sagte „Mach mal!“ Und ich machte mal. Erst PEKiP, dann Krabbelgruppe, dann doch noch ein Jahr zuhause, weil keine Tagesmutter verfügbar, währenddessen wieder schwanger, erstes Kind in der Kita, Geburt des zweiten Kindes, wieder zwei Jahre zuhause, weil immer noch keine Tagesmutter am Start. Dann war, viereinhalb Jahre nach der Geburt von K1, K2 auch endlich in der Kita, und ich hatte theoretisch von sieben Uhr morgens bis 14 Uhr Zeit zum Arbeiten. Wer sich in der Werbebranche auskennt, weiß, dass Agenturen nicht vor neun Uhr morgens zu erreichen sind. Dafür ist nach hinten Ende offen. Diese Arbeitszeiten sind mit einem Dasein als junge Mutter nicht kompatibel. Also weiter als Freelancerin, aber nicht im Auftrag von Agenturen, sondern direkt für den Endkunden. Das bedeutete erstmal Klinkenputzen. Ich stöberte im Netz nach kleinen und mittleren Unternehmen mit schlechten Webseiten und machte ihnen Angebote, die sie nicht ablehnen konnten. Ich verkaufte mich sehr oft unter Wert, nur um einen Fuß in die Tür zu kriegen. Und selbst, wenn es dann mit einem Kunden mal lief, war der Aufwand, den ich betrieb, für den Ertrag, den ich an meinem Kontostand ablesen konnte, viel zu groß.

Denn schließlich hatte ich ja nicht nur meine Arbeit am Hals, sondern ich kümmerte mich auch weiterhin liebevoll und leidenschaftlich um das Wohlergehen von Gatte & Kindern – und mit deutlich weniger Liebe und Passion um Haushalt und den ganzen zusätzlichen Kladderadatsch. Und zwar alleine. Den Kühlschrank füllen, die Wäsche waschen, das Haus sauber halten, Termine im Blick haben, Kuchen backen für den Schulbasar, Arbeitssamstag in der Kita organisieren, Urlaubsplanung, Steuer-erklärung. Und dann noch das bisschen Arbeit. Ich bin mir sicher, dass es mir nicht alleine so geht. Fast alle Frauen mit Kindern im gleichen Alter, die ich kenne, klagen über die gleiche Doppelt- bis Dreifachbelastung. Während unsere Männer einfach arbeiten gehen. Versteht mich nicht falsch, ich möchte um nichts in der Welt mit meinem Mann tauschen. Und meine Familie war immer Nr. 1 und wird es auch bleiben. Aber so, wie es jetzt ist, habe ich es nie gewollt. Wir sind als Eltern beide total überlastet. Der Eine von seinen unmenschlichen Arbeitszeiten und häufigen, langen Dienstreisen. Die andere von den vielen Baustellen, zwischen denen sie umherspringt, um es allen, außer sich selbst, recht zu machen. Und das Ganze für lächerliches Geld. Das sich die Situation mit dem dritten Kind noch verschärft hat, muss ich wohl nicht weiter ausführen.

Es ist weithin bekannt, dass insbesondere Frauen unter der Doppelbelastung Familie und Beruf leiden. Darüber wird schon so lange diskutiert, wie es berufstätige Frauen gibt. Aber gibt es denn auch Ergebnisse? Hat die Diskussion irgendwas erbracht, was Frauen entlastet? Naja. Da ist wohl noch Luft nach oben. OK, Mutter-Kind-Kuren gibt es. Die sind toll, absolut zu empfehlen, jede sollte eine machen. Meine war fantastisch. Aber darüber hinaus? Alle „Errungenschaften“, die Frauen mühsam erkämpft haben, wie zum Beispiel das Recht auf Teilzeit-Arbeit, schleppen einen schweren Pferdefuß hinter sich her: Finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann, niedrigere Rentenansprüche, Altersarmut, um nur ein paar zu nennen. Mal ganz davon abgesehen, das Teilzeit-Beschäftigte oft das Gefühl haben, sie müssten in der Hälfte der Zeit genau soviel leisten wie ihre Fulltime-Kollegen, um als vollwertige Arbeitskraft wahrgenommen zu werden.

Ich denke, wir müssen Beruf und Familie neu denken. Die Belastung für die Eltern muss anders verteilt werden. Wie wäre es zum Beispiel, wenn beide Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren könnten, ohne Einbußen fürchten zu müssen, weil sie für eine bestimmte Zeit ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehen?

Und wie wäre es, wenn wir als Gesellschaft uns mal von der total bekloppten Ansicht verabschieden, dass moderne Frauen alles können müssen? Mutter, Ehefrau, Geliebte, Arbeitskraft, Putzfrau, Köchin, Krankenschwester, Hilfslehrerin, Psychologin und was weiß ich noch alles?

Wir sollten endlich anfangen, aufzuhören.
Damit, es allen recht machen zu wollen.
Damit, komplett surrealen Ansprüchen genügen zu wollen.
Damit, nicht auf uns selbst zu achten.
Denn nur wenn wir wissen, was wir wollen, und wenn wir laut sagen, was wir wollen, können wir auch etwas verändern. Zum Guten. Für unser inneres Gleichgewicht, für unsere Familien und für die Gesellschaft als Ganzes.

Karneval: Melde Vollzug. Schee war’s.

Das Bild oben ist zwar nur ein Symbolbild, aber es beschreibt ziemlich akkurat meine Stimmung an Karneval dieses Jahr. Ich war gelöst, fröhlich, auch ein bisschen nostalgisch, weil das letzte Mal schon so lange her war (Februar 2020, der Tanz auf dem Vulkan:-)).
Im Vorfeld hatte ich gezweifelt, ob ich das überhaupt noch genießen könnte: Sich an Weiberfastnacht in der alten Stammkneipe durch laute, bunt kostümierte und auf Kommando gut gelaunte Menschenmassen zu dem maximal 0,5 Quadratmeter winzigen Spot auf der Tanzfläche zu zwängen, der noch frei ist, um dann dort mit fünf(!) anderen Frauen ausgelassen zu tanzen. Ich weiß, das ist physikalisch unmöglich, aber Karneval in Köln ist so verrückt, der kann sogar Naturgesetze außer Kraft setzen. Wer einmal dabei war, wird es bestätigen. Hat auch dieses Jahr wieder erstaunlich gut funktioniert. Auch das die Gläser, aus denen man das Kölsch trinkt, keiner strengen Hygienekontrolle standhalten, stört nicht. Die „Kölsche Tön“, also Karnevalsmusik in Kölscher Mundart, saßen auch noch. Wer, so wie ich, als Kind die Musik der Bläck Fööss inhaliert hat wie ein Grippekranker Menthol, der kann auch Jahrzehnte später noch „In unserem Veedel“ laut mitsingen/-grölen. Im Schlaf, auf Knopfdruck und im besoffenen Kopf allemal. Und mit den neueren Stücken neuerer Bands ist es für den geübten Fan auch ganz einfach. Sie folgen alle dem gleichen Gesetz: Einfache Melodie + Lyrics, die unbedingt den Dom, den Rhein, den Kölschen Sonnenschein und das Kölsche Hätz (Herz) thematisieren + ein bisschen Schallallallalla für die nicht so textsicheren Zuhörer = Neuer Karnevals-Megahit. Der Rhythmus ist entweder ein schunkelfreudiger Dreiviertel-Takt, ein klassischer Vierviertel-Takt zum Mitklatschen, oder eine Polka zum Ausrasten. Einfaches Rezept, Sensationelle Wirkung. Klappt auch bei denen, die sich sonst das ganze Jahr als pseudointellektuelle Profi-Nörgler hervortun und gute Laune bei anderen nur aus einem Sicherheitsabstand von weit mehr als 1,5 Metern beobachten.
Fazit: Schön war’s, nächstes Jahr gerne wieder Kölle Alaaf!

Am Rosenmontag ging der Wahnsinn weiter. Meine beiden großen Jungs und ich gingen nämlich diesmal im Rosenmontagszug unseres Dorfes mit. Das letzte Mal, dass ich an einem Karnevalszug teilgenommen hatte, war im vierten Schuljahr, also vor fast vierzig Jahren. In meinem Heimatdorf hat nämlich die Schule damals den jährlichen Rosenmontagszug organisiert und aus den Schüler:innen des neunten Schuljahres wurde das Prinzenpaar ausgewählt. Das bedeutete, das Schüler:innen, Lehrer:innen und die Eltern in den Wochen vor Karneval jedes Wochenende mit Wagenbau, Kostüme nähen, Wurfmaterial besorgen und sonstigen Vorbereitungen beschäftigt waren. Ein aus heutiger Sicht nahezu unzumutbarer Aufwand, der uns Kindern aber sehr viel Spaß gemacht hat. Meines Wissens haben die Eltern irgendwann, als ich schon aufs Gymnasium ging, gemeutert und die Schule hat daraufhin mitgeteilt, dass sie sich nicht mehr am „Zoch“ beteiligen würde. Daraufhin gab es erstmal großes Geschrei aller Empörten, die sich zwar den großen Aufwand, den die Orga eines solchen Events bedeutet, nicht zumuten wollten, andererseits aber auf den „Zoch“ nicht verzichten konnten; es wurde viel diskutiert, aber schließlich sprangen die Vereine des Dorfes ein, und den Rosenmontagszug gibt es bis heute. Ich fand das damals ziemlich lächerlich – war ich doch mit meinen 15 oder 16 Jahren kurzzeitig zu cool für traditionelles Brauchtum und Humptata – mittlerweile finde ich es hingegen ziemlich cool, dass es immer noch so viele unentwegte Enthusiasten gibt, die sich das gerne Jahr für Jahr aufs Neue antun und damit das kulturelle Leben in den Dörfern am Leben halten.

Also, dieses Jahr gingen wir auch mal mit. Der Grund ist ganz einfach: Der Sportverein, in dem meine Söhne Fußball spielen, hatte 2022 100jähriges Jubiläum. Und hätte daher schon im letzten Jahr im Zug mitlaufen sollen. Letztes Jahr fiel aber, wie schon 2021, der Karneval den Corona-Maßnahmen zum Opfer, daher wurde die Teilnahme auf dieses Jahr verschoben. Und so fanden wir uns, zusammen mit etwa 100 anderen Vereinsmitgliedern am Rosenmontag bei herrlichem Sonnenschein, von Kopf bis Fuß in den Vereinsfarben Blauweiß und mit vollen „Kamellebüggeln“ auf dem Dorfplatz ein, und liefen daraufhin ca. zwei Stunden in gemächlichem Rentnertempo hinter einem stinkenden, alten Trecker, auf dessen Anhänger künstlerisch mehr oder minder Begabte einen Fußballrasen samt Bällen und Tor installiert hatten, her. Nun ja. Mal abgesehen davon, dass es wirklich schön war, war ich vor allem damit beschäftigt, meine Jungs im Auge zu behalten. Bekanntlich fließt der Alkohol an Karneval in Strömen. Und pubertierende Jungs nutzen, ebenfalls bekanntlich, jede Gelegenheit, um an verbotene Früchte zu kommen. Mein Großer, gerade mal 13, ist da leider keine Ausnahme. Außerdem ist er auf dem Weg zum Riesen (1,76 m, Schuhgröße 44 and counting) und hat auch schon sowas wie ein Fläumchen auf der Oberlippe – kurz, er wirkt älter. Offenbar alt genug für so manchen Passanten, der ihm Schnäpschen und Likörchen andrehen wollte. Und da ich meine Augen nicht immer und überall gleichzeitig haben kann, weiß das Kind jetzt, das Erdbeer Colada eklig ist. Mein Fazit daher: Gemischt. Schön war es, gefährlich war es offenbar auch, aber zumindest hatte der Alkoholgenuss abschreckende Wirkung. Noch. Bald wird er vierzehn. Wann habt Ihr eure ersten Erfahrungen mit Alkohol gemacht? Ich bin gespannt. Und besorgt. Und krieg mich jetzt wieder ein.

Fazit: Karneval: Kann man machen. Gewisse Risiken muss man wohl einkalkulieren. Zum Beispiel ist meine Corona-WarnApp seit zwei Wochen durchgängig rot. Insgesamt drei Risikobegegnungen. Nun ja. Wenn ich aus den letzten drei Jahren was gelernt habe, ist es folgendes: Leben will gelebt werden. Immer nur zugucken macht nämlich auf Dauer nicht glücklich.

Long time no see – oder: Gibt es ein Leben nach dem Blog?

Es stimmt, ich war lang nicht mehr hier. Die Gründe dafür sind vielfältig: Jobsuche, Familiendinge, dann diese Pandemie, ach was sag ich, dieses Pandämonium namens Covid19, was uns lange in Atem hielt, auch wenn wir persönlich einigermaßen glimpflich davon gekommen sind.
Und jetzt? Jetzt ist Februar 2023, alle sind geimpft, und Corona hatten wir das letzte Mal vor ca. einem Jahr. Das Leben hat wieder normale Formen angenommen. Ich denke übers Karneval feiern nach, und frage mich, ob ich das wohl noch kann. Viele Menschen auf einem Haufen, Lachen, Singen, Trinken aus bestenfalls flüchtig gespülten Gläsern, Schunkeln. Anfassen. Normales Leben vor 2020.

Außerdem beschäftigt mich das, was uns alle seit fast einem Jahr umtreibt: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine – und die Folgen hier bei uns: Inflation und Energiekrise einerseits und andererseits die Frage, was das Ganze in einem größeren Kontext für uns hier im freien Europa bedeutet. Wird sich der Krieg ausweiten nach Westen? Werden meine Kinder eines fürchterlichen Tages in den Kampf ziehen müssen? Oder macht der Irre im Kreml gar Ernst mit seinen Drohungen und schickt Atombomben los? In dem Fall bräuchte ich mir zumindest um all den anderen Kram keine Gedanken mehr machen:-(

Das alles – und noch vieles mehr, zum Beispiel schnöde Erwerbsarbeit – hielt mich lange vom Bloggen ab. Wenn man gedanklich ständig um Variationen des Weltuntergangs kreist und nebenher auch noch im Job, als Mutter, als Mensch funktionieren soll, wird vieles, was eigentlich Spaß macht, in der Prio-Liste nach ganz hinten durchgereicht. Und dümpelt da kleinlaut vor sich hin. Oder kratzt einmal im Jahr an meinem schlechten Gewissen – immer, wenn die WordPress-Rechnung kommt :-/.

Also: Klar, natürlich gibt es ein Leben nach dem oder ohne den Blog. Ist ja nicht so, dass sonst nichts passieren würde, sowohl in der Realität als auch in meinem Kopf. Glücklicherweise kreisen meine Gedanken auch nicht ausschließlich um Fragen wie: Was koche ich heute? Wie krieg ich sämtliche gleichzeitig an verschiedenen Orten stattfindenden Nachmittags-Termine der Kinder gewuppt, ohne mich beamen zu können? Und wann und wie kommt er denn jetzt, der Weltuntergang? Nein, ich hab auch sonst noch ein bisschen was im Kopf. Zum Beispiel schreibblockiere ich gerade an meinem ersten Roman. Keine Ahnung, was daraus wird, ich bin seit drei Monaten am ersten Kapitel. Aber dennoch. Es ist ein Anfang. Vielleicht sogar von was Gutem. Und das wäre zur Abwechslung doch mal eine schöne Nachricht.

So eine Schreibblockade hat übrigens auch gute Seiten. Jedenfalls für Euch. Ich könnte ja, immer wenn ich nicht weiterkomme, einen Blogbeitrag schreiben, dann hättet Ihr auch was davon. Könnte also in Zukunft etwas mehr los sein hier;-)

Jedenfalls freue ich mich darauf, hier wieder öfter was zu sagen zu haben, und auf Euer Feedback! Und dazu habe ich eine Bitte: Haltet Euch, bei allem, was Ihr beizutragen habt, an die Netiquette. Hate Speech wird hier nicht toleriert. Das Gleiche gilt für rechtsextremes Gedankengut, Querdenker-Geschwurbel, Putin-Verherrlichungen und ähnlichen Schwachsinn. Für Diskussionen mit Menschen, die so denken, fehlt mir schlicht die Geduld. Ich hoffe, Ihr seht es mir nach!

In diesem Sinne: Bis ganz bald!
Eure Frauke

Küken shreddern oder Eier wegschmeißen

So geht Nachhaltigkeit. Nicht.

„Tierschutz geht vor Wirtschaftlichkeit.“ So möchten die Richter des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig, die gestern ein Grundsatzurteil zur umstrittenen Praxis des massenhaften Tötens männlicher Ein-Tages-Küken gefällt haben, eben jenes Urteil verstanden wissen.
Ich fürchte, das muss mir mal jemand erklären.

Fangen wir von vorne an: Männliche Küken aus Legehennenlinien werden bisher einen Tag nach dem Schlupf aussortiert und getötet. Allein in Deutschland betrifft das jährlich 45 Mio Tiere. Weil sie naturgemäß keine Eier legen, und weil sie auf Grund der Züchtung auch kein Fleisch ansetzen, ist ihre Aufzucht für Brütereien unwirtschaftlich. Diese Unwirtschaftlichkeit wurde bisher immer als ausreichender Grund angesehen, den Tierschutz auszuhebeln (denn eigentlich ist es seit 2002 verboten, Tieren ohne „vernünftigen Grund“ Leid zuzufügen oder sie zu töten). So auch in einem Urteil des OVG Münster, dass durch das gestrige Urteil revidiert wird.

Aber stimmt das auch wirklich? Schauen wir uns das mal genauer an. Zunächst mal hat das Gericht entschieden, dass das Kükenshreddern vorerst erlaubt bleibt. Und zwar so lange, bis eine alternative Technik, das Geschlecht des Embryos bereits zu Beginn der Brutphase, also noch im Ei, zu erkennen, marktreif und für jede Brüterei anwendbar ist. Laut Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner sollte das im kommenden Jahr soweit sein.

Bis dahin geht es also munter weiter mit dem massenhaften Töten. Und danach? Werden dann jährlich 45 Millionen Eier vernichtet, statt 45 Millionen Tiere zu töten. Das mag einen Tick humaner sein, das mag im Einklang mit dem Tierschutz sein.

Aber wollen wir das wirklich? Das Problem wird doch nur verlagert. Was passiert denn mit den Eiern? Sie gelangen aus hygienischen Gründen nicht in den Verkauf. Sie werden weggeschmissen, oder bestenfalls zu Tierfutter verarbeitet, weil da die Hygienebestimmungen nicht so streng sind.

Wir sind eine Gesellschaft, die es sich schon jetzt leistet, jährlich 11 Mio Tonnen Lebensmittel wegzuschmeißen. In der es nach wie vor verboten ist, Lebensmittel aus den Müllcontainern von Supermärkten zu retten. Wollen wir das Ganze verschlimmern, indem wir jetzt auch noch 45 Millionen Eier auf den Müll werfen? Also, ich will das nicht!

Die Lösung? Zwei Nutzungen

Dabei ist die Lösung denkbar einfach. Wie Silvia Bender vom BUND in der taz schreibt, wäre es wesentlich sinnvoller, die Hühnerzucht grundlegend umzukrempeln. Momentan ist es so, dass für die Legehennenzucht nur Hochleistungsrassen eingesetzt werden, deren Abkömmlinge dann bis zu 300 Eier pro Jahr legen. Nach diesem Jahr sind sie vollkommen erschöpft, oft chronisch krank, und werden geschlachtet. Umgekehrt gibt es auch Hochleistungsrassen für die Hähnchenmast, die besonders gut Fleisch ansetzen, aber nicht wirklich zum Eierlegen geeignet sind. Diese Tiere leben noch kürzer, durchschnittlich 35 Tage.

Was also tun? Sogenannte „Zwei-Nutzungs-Hühner“ züchten. Es gibt nämlich auch Zuchtlinien, die etwas weniger Fleisch ansetzen als Masthühner, etwas weniger Eier legen als Legehennen, aber eben trotzdem beides können. Diese Tiere sind, weil sie nicht so hochgezüchtet sind, gesundheitlich weniger anfällig.

Weniger Fleisch schadet uns allen nicht, weniger Eier könnten wir sicher auch verkraften. Klingt für mich nach einer Win-Win-Situation. Stattdessen schmeißen wir aber munter Eier weg. Ist angeblich wirtschaftlicher. Und wen interessierte nochmal der Tierschutz? Lassen wir das.

Nachhaltigkeit? So nicht.

Gibssu mir Geld oda isch mach Disch kaputt

Alltag eines Grundschulkindes

Mein Großer ist zehn Jahre alt und besucht die örtliche Grundschule. Über diese Schule kann ich viel Positives sagen (beste Klassenlehrerin, super engagiertes Kollegium, gute Ausstattung, mega Förderverein), und auch ein bisschen was Negatives („Schraipm nach Gehöa“ – Ganz schlimm!). Wir sind jedenfalls im Großen und Ganzen zufrieden. Schön ist auch, dass die Kinder hier offensichtlich einen respektvollen Umgang miteinander lernen. Jedenfalls hört man wenig über Bullying oder Mobbing, was an anderen Schulen ja leider häufig ein Problem darstellt.

Umso negativ überraschter war ich, als mein Sohn kürzlich ziemlich verschüchtert nach Hause kam und sagte, er wolle nicht mehr den offenen Ganztag besuchen. Zur Erklärung: „Offene Ganztagsschule (OGS)“ bezeichnet hier in NRW das Angebot an Grundschulen für Kinder berufstätiger Eltern, nach Unterrichtsende noch bis in den Nachmittag bgetreut zu werden. Die Kinder bekommen ein warmes Mittagessen, machen ihre Hausaufgaben, können am AG-Angebot teilnehmen oder frei spielen.

Mein Sohn geht bisher sehr gerne zur OGS (und für uns als berufstätige Eltern gibt es auch keine Alternative). Daher ließ mich sein Verhalten natürlich aufhorchen. Aber er rückte auch auf mein Drängen hin nicht mit der Sprache heraus, warum er nicht mehr hingehen wollte.

Dieses Problem löste sich allerdings wenig später durch einen Anruf der OGS-Leiterin. Sie klärte mich darüber auf, dass mein Sohn und ein Freund auf dem Schulhof von einem 16jährigen Jugendlichen bedroht worden seien. Der Jugendliche habe gesehen, dass der Freund meines Kindes Geld in der Tasche hatte, und habe ihm gedroht, ihm wehzutun, wenn er es nicht rausrückte. Was dieser daraufhin tat. Worauf der 16jährige abzog.

So weit, so übel. Die OGS-Leiterin informierte mich, dass dem Jugendlichen bereits bei vorherigen ähnlichen Situationen Schulhofverbot erteilt worden sei, was diesen aber weiter nicht kümmerte. Unter Umständen läge auch schon die ein oder andere Anzeige wegen Diebstahl und Körperverletzung vor. Die Schulleitung sei informiert. Mir wurde ganz schlecht.

Was macht man in so einer Situation als Mutter? Ich habe natürlich als erstes mit meinem Sohn gesprochen. Ich habe versucht, ihm die Angst vor diesem Jungen zu nehmen und ihn gleichzeitig ermahnt, sich einen Erwachsenen zur Hilfe zu holen, falls so etwas nochmal vorkommen sollte. Meinem Kind scheint das geholfen zu haben.

Mir aber nicht. Ich frage mich die ganze Zeit, ob das genug ist. Ob ich als Mama nicht mehr tun könnte, tun muss. Und ich frage mich auch, ob ich der Schule noch vertrauen kann. Ist Schule wirklich der geschützte Raum, in dem unsere Kinder ohne irgendeine Bedrohung von außen lernen, spielen und sich frei entfalten können? Und wie kann sich Schule gegen solche äußerlichen Bedrohungen wehren?

Ich muss sagen, ich weiss es nicht. Mein Sohn wird nach den Ferien auf die weiterführende Schule wechseln; was da für intellektuelle und soziale Herausforderungen auf ihn und uns zukommen, kann ich nur erahnen. Aber ich habe ja noch zwei weitere Kinder. Sohn Nr. 2 besucht bereits die zweite Klasse an der gleichen Schule, und der Mini wird in einigen Jahren ebenfalls dorthin gehen. Kann ich meine Kinder weiterhin guten Gewissens jeden Tag auf eine Schule schicken, der ich nicht mehr voll und ganz vertraue? Andererseits: Wer sagt mir denn, dass es woanders besser ist?

Ich fürchte, dass ich an dem Problem noch eine Weile zu knuspern habe.

Erziehungsratgeber

Fluch oder Segen?

Ich bin das, was man einen Büchermensch nennt. Es vergeht kein Shopping-Trip, bei dem ich nicht irgendwann in einer Buchhandlung ende und „Bücher streichle“, wie Kind Nr. 2 das einmal treffend und ein wenig vorwurfsvoll formuliert hat. In der Regel halte ich mich dann bei der Belletristik oder den Kinderbüchern auf, seltener bei Reise- oder Kochbüchern. Das hat nichts damit zu tun, dass ich ungern reise oder koche – ganz im Gegenteil, ich liebe beides – sondern eher damit, dass Reiseführer und Kochbücher meistens in der gleichen Ecke zu finden sind wie die Ratgeber-Literatur. Und die mag ich nunmal gar nicht. Einerseits.
Was es da nicht alles gibt: Von Apfelessig bis Feng Shui, von Esoterik bis Meditation, von Feminismus im Alltag bis Yoga in der Pause – kein Thema, für das sich noch kein tatsächlicher oder vermeintlicher Experte gefunden hätte, der darüber unbedingt einen Ratgeber mit „echten und praxisnahen Insidertipps“ schreiben müsste.

Lieblingsthema für Ratgeber-Autoren ist natürlich die Kindererziehung. Liegt ja auch nahe, denn schließlich hat nun wirklich jeder dazu eine Expertenmeinung. Egal, ob man selbst Kinder hat, oder das Konzept Familie nur vom Hörensagen kennt, man war ja schließlich selbst mal Kind und fühlt sich daher grundsätzlich befähigt, qualifizierte Statements zu diesem Themenkomplex abzugeben. Kennen wir alle aus dem Alltag.

Früher oder später stehen wir Eltern also alle mal vor den gefühlt 50 Regalmetern Erziehungsliteratur, die uns weismachen wollen, dass sie das Patentrezept für die Lösung unseres aktuellen Problems kundenfreundlich zwischen zwei Buchdeckel gepresst haben. Ganz egal, ob der Mini nicht schlafen, nicht essen, nicht lesen, nicht spielen, nicht reden, nicht in die Kita, nicht in die Schule oder was auch immer nicht will, für dieses Problem gibt es einen in der Regel auf den ersten fünf Seiten schnell erklärten Grund (Fehlverhalten der Eltern, was sonst). Auf den nächsten 250 Seiten folgt dann die Lösung, die offenbar nicht ganz so schnell erklärt ist. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass man das Buch ja schließlich mit Inhalt füllen muss, sonst bräuchte man es gar nicht erst schreiben.

Wie gesagt, ich hasse solche Bücher. Einerseits. Andererseits komme auch ich, wie jede andere Mutter, öfter mal an die Grenzen meiner Weisheit. Und noch öfter an die Grenzen meines Nervenkostüms. Daher bin auch ich natürlich nicht immun gegen die Verlockungen vermeintlich einfacher Lösungen.

Leider halten sich meine positiven Erfahrungen mit Erziehungsratgebern allerdings in engen Grenzen. Man könnte auch sagen, es gibt keine.
Ein Beispiel: Kind Nr. 1 bekam von mir als Kleinkind vor dem Schlafengehen immer noch eine Milchflasche, dann wurden Zähne geputzt, und dann setzte ich mich mit ihm auf dem Arm in einen Sessel im Kinderzimmer, wartete, bis er einschlief und verfrachtete ihn dann behutsam in sein Bett. Irgendwann hatte das schlaue Kind allerdings raus, dass Mama auf jeden Fall so lange dableibt, bis es einschläft. Also hat es das Einschlafen so lange hinausgezögert, wie es irgendwie ging. Oft saß ich abends zwei bis drei Stunden mit ihm da. Ergebnis: Keine Freizeit, keine Zeit zu zweit. Und alle jungen Eltern wissen, das die Stunden zwischen dem Zubettbringen des Kindes und dem eigenen Schlafengehen die einzigen sind, in denen man mal Zeit füreinander hat.

Es musste also eine Lösung her. Folglich kaufte ich mir den Klassiker „Jedes Kind kann schlafen lernen“ (wird hier nicht verlinkt, weil ich das Buch ausdrücklich nicht empfehlen kann). Ich las das Buch und bekam Zweifel. Angeblich lernte jedes Kind schlafen, wenn man es wach ins Bett legte, ihm liebevoll Gute Nacht wünschte und dann das Zimmer verließ. Sollte das Kind wider Erwarten (!) anfangen zu weinen, sollten Eltern einige Minuten warten, dann wieder hineingehen, das Kind beruhigen – ohne es auf den Arm zu nehmen – und wieder rausgehen. Diesen Prozess sollte man so lange wiederholen, bis das Kind einschlief.

Wie gesagt, ich hatte Zweifel. Aber wir probierten es trotzdem. Wie erwartet, begann der Kleine zu weinen, sobald ich das Zimmer verließ. Das steigerte sich in den nächsten zwei Minuten zu einem infernalischen Gebrüll. Offenbar litt er Höllenqualen, und mir ging es nicht anders. Ich ging wieder rein, beruhigte ihn, ohne ihn hochzunehmen, ging wieder raus. Das ganze ging dann noch über eine halbe Stunde. Immer wieder schaffte ich es, ihn leidlich zu beruhigen, immer wieder brüllte er los, wenn ich ihn verließ. Und dann war Ruhe. Er war vor lauter Erschöpfung mitten im Weinen eingeschlafen. Ich setzte mich aufs Sofa und heulte nun selbst erstmal los.

Am folgenden Abend war ich darauf gefasst, dass sich das Szenario wiederholen würde, aber zu meinem großen Erstaunen ließ er sich anstandslos ins Bett bringen.

Man könnte also meinen, das Konzept des Buches wäre aufgegangen. Das Kind ging pünktlich schlafen, wachte morgens zu einer normalen Uhrzeit auf und dazwischen war Ruhe. Mein Mann und ich wähnten uns bereits im Elternparadies.

Doch jetzt kommt der Haken: Kind Nr. 1 war bis zu diesem Zeitpunkt eine echte Schmusebacke. Er wollte immer auf den Arm, auf den Schoß, kuscheln und Küsschen geben, konnte nie genug Nähe bekommen.

Seit diesem Horror-Abend lässt mein Kind keine Nähe mehr zu. Keine Umarmung, kein Trösten, kein Kuscheln. Wenn ich die Kinder abends ins Bett bringe, darf ich ihm über den Kopf streicheln. Das ist aber auch alles.

Von daher ist mein Misstrauen gegenüber Erziehungsratgebern wohl nicht weiter verwunderlich. Mein Rat an Euch: Lasst die Bücher links liegen und vertraut auf Euren Instinkt als Eltern. Wenn der Nachwuchs abends ohne Mama und Papa nicht einschlafen will, dann legt euch einfach alle zusammen ins Bett und verschiebt die Zweisamkeit auf später. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass manche Probleme sich irgendwann von selbst lösen. Und wenn nicht, dann geht in Euch und findet den Ansatz, der zu Euch und Eurer Familienwirklichkeit passt. Familie wird nicht am Reissbrett geplant und funktioniert nie nach Schema F.

Und mit diesen Gedanken gehe ich jetzt in die Belletristik-Abteilung, Bücher streicheln.

Wohnst Du noch oder baust Du schon?

Bauboom in Bullerbü

Man liest es täglich in der Zeitung und auch alle anderen Medien sind voll davon: Wohnen ist teuer. Schweineteuer. So teuer, dass viele Normalverdiener sich das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten können. Eine Vierzimmerwohnung mit 100 qm kostet in Köln mittlerweile mindestens 2.000 € Miete, in anderen Städten wie Hamburg, Berlin oder München auch gerne noch mehr. Wer Kinder hat und daher ein Mindestmaß an Platz braucht – von den erhöhten Lebenshaltungskosten, die der Nachwuchs so mit sich bringt, ganz zu schweigen – guckt da ganz schnell in die Röhre.

Die Lösung? Wir erinnern uns an die Lieblingsbücher unserer frühen Jahre, zum Beispiel die Michel- oder Bullerbü-Bücher von Astrid Lindgren, und die dort beschriebene einfache, aber idyllische Kindheit auf dem Land. Und wollen plötzlich alle nach Bullerbü.

Nun hat das Landleben von heute mit dem in Schweden vor 50-150 Jahren nicht mehr viel gemeinsam. Aber solche Nebensächlichkeiten bemerken wir erstmal nicht. Hach Schatz, riech mal, die gute Luft! Und schau mal, die grünen Wiesen! Und wieviel Platz!!! Hier können die Kinder ja auf der Straße spielen, bei so wenig Verkehr! Ja, genau. Luft, Natur, Platz. Alles super.

Ein Haken wäre da allerdings: Der Wohnraum. Bzw. das Nichtvorhandensein dessen. Wer auf dem Land eine Wohnung oder ein Haus sucht, wird schnell merken, dass das Angebot an schnuckeligen Resthöfen, gepflegten Einfamilienhäusern oder Großraumwohnungen auch hier bei uns Provinzbirnen eher mau ist. Die Anfrage steigt aber ständig. Und da wir ja Platz haben (s. o.), gibt es für das Problem eine vermeintlich einfache Lösung: Bauen!

Schaffe, Schaffe, Häusle baue!

Eigentümer freier Baugrundstücke haben es zur Zeit bei uns sehr leicht. Die Grundstücke werden ihnen, kaum auf dem Markt, förmlich aus den Händen gerissen, und zwar zu deutlich überhöhten Preisen. Ist ja auch logisch. Wer aus der Stadt kommt und die dortigen Preise kennt – zwischen 500 und 700k für ein Reihenhaus mit Minigrundstück z. B. in einer Hamburger Vorstadt – der wird das Baugrundstück im Grünen für 150k preiswert finden. Das das gleiche Areal vor 10 Jahren noch für 80.000 verkauft worden wäre, spielt angesichts niedriger Zinsen keine Rolle.

So füllen sich langsam aber sicher sämtliche Lücken in den alten Ortskernen, und an den Rändern entstehen gesichtslose Reihenhaussiedlungen, wie man sie auch von Vororten jeder xbeliebigen deutschen Großstadt kennt. In der Folge werden neue Supermärkte, Schulen, Kindergärten gebaut, neue Gewerbegebiete angelegt. Es entstehen Umgehungsstraßen, an alten Bahnstrecken werden neue Haltepunkte eingerichtet, und es wird voller. Auf der Straße, im Zug, in den Geschäften. Wie war das nochmal mit Bullerbü? Wo hat es sich doch gleich versteckt?

Die gute Luft ist sicher immer noch besser als auf der Kölner Nordsüdfahrt. Was allerdings keine besondere Leistung darstellt. Die Wiesen verschwinden eine nach der anderen unter Beton. Der Platz wird weniger, der Verkehr nimmt drastisch zu. Unsere Kinder spielen nicht auf der Straße, viel zu gefährlich.

Vergesst Bullerbü. Willkommen auf dem Land!

I bims und versteh nix!

Vong Sprache her

Kürzlich saß ich zur Mittagszeit an einer Bushaltestelle. Sowas kommt bei mir eher selten vor, bin eher unfreiwillig Autofahrerin (siehe letzter Blogbeitrag). Und meine eigenen Kinder sind noch nicht im Teenageralter. Deshalb war, was nun folgt, für mich der extremste Ausdruck des Generationenkonflikts seit meiner eigenen Jugend in den achtzigern (Ja, zugegeben, ich bin alt!).
Da sitze ich also, Knöpfe im Ohr, und will gerade das Volume ein bisschen hoch drehen, als ich unwillkürlich innehalte. Und stattdessen eher mal zuhöre, was die ca. 13jährigen Jungs und Mädchen, die mit mir auf den Bus warten, sich so zu erzählen haben.
Also wirklich, ich habe es versucht. Einige Minuten lang hörte ich konzentriert hin. Ich bekam den Eindruck, dass die verwendete Lingo zumindest rudimentär auf unserer Muttersprache basiert. Das war es dann aber auch. Im Prinzip hätten sich die Kids auch auf Altgriechisch, Esperanto oder Gorgonisch unterhalten können – ich hätte genauso viel verstanden, nämlich nix. Null. Niente. Nada.

Nun bin ich zwar alt, aber ein paar Sachen kapier ich noch. Klar, in dem Alter muss man sich von der Welt der Eltern abgrenzen. Mussten wir ja auch. Aber, und das ist wirklich ein großes Aber: Unsere Eltern waren auch furchtbar peinlich! Sie wählten Helmut Kohl, hörten Rex Gildo, tanzten beim Schützenfest Discofox, zogen sich total unmodern an, machten Wanderurlaub im Allgäu und hängten sich Kuckucksuhren ins Wohnzimmer. Kuckucksuhren!!! Da hielt man besser größtmöglichen Sicherheitsabstand.
Wir hörten je nach Geschmack entweder U2 oder Depeche Mode, stylten uns so, dass wir problemlos als Klone der jeweiligen Bandmitglieder durchgegangen wären und stellten zwischendurch jegliche überflüssige Kommunikation mit der Erwachsenenwelt ein. Als wir ein paar Jahre später wählen durften, wählten wir die Grünen. Nicht weil wir überzeugte Ökologen waren, sondern aus Protest. So funktioniert das mit der Abgrenzung „nach oben“.

Aber ist das heute überhaupt noch nötig? So stylish, so modern, so – gefühlt – jung wie wir war noch keine Elterngeneration in Deutschland. Warum also abgrenzen?
Ganz einfach: Auch wir sind peinlich. Meine Generation guckt sich Dieter Bohlen im Fernsehen an, hört Helene Fischer, tanzt immer noch Discofox und wählt mittlerweile mehrheitlich Merkel. Auch wenn wir modisch und beim Interior Design gegenüber unseren Eltern deutlich aufgeholt haben, besteht also immer noch genügend Abgrenzungsbedarf bei den Kiddies. Optisch ist das schwierig. Wenn Mutter und Tochter sich gerne im Kleiderschrank der jeweils anderen bedienen, ist das kein Punkt, an dem man ansetzen kann.

Nice! Abgrenzung über die Sprache

Bleibt noch Ausdrucksform Nummer eins: Die Sprache.
Laut Wikipedia ist die sogenannte Vong-Sprache ein Sprachstil, der Mitte der 2010er Jahre als Internetphänomen entstanden ist. Ursprünglich sollte sie die schlechten Deutschkenntnisse vieler User persiflieren. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die meisten Vong-Sprecher sich dieses Umstandes nicht wirklich bewusst sind. Mit anderen Worten, aus Satire wurde mittlerweile bittere Realität. Aber die Abgrenzungsfunktion funktioniert super! Eltern, Lehrer und ganz generell Menschen über 35 verstehen Vong erstmal nicht. Aber uns kann geholfen werden: Glücklicherweise gibt es mittlerweile ein satirisches Vong-Wörterbuch für Provinzbirnen und andere Nix-Versteher! Es besteht also Hoffnung, dass wir unsere Kinder mit ein bisschen Übung doch noch dechiffrieren. Aber wollen wir das? Oder ist die herkömmliche Variante, einfach ein paar Jahre nicht zu kommunizieren, vielleicht doch die bessere?
Wie gesagt, noch sind meine Kinder nicht im Teenageralter. Aber ein bisschen Ruhe zwischendurch fände ich ehrlich gesagt ganz schön… Los, Kids! Werdet dreizehn!


Landleben – nah an der Natur?

Schön wär’s…

„Ihr Provinzbirnen habt es gut. Ihr lebt mitten in der Natur, habt den nächsten Biobauern direkt vor der Haustür und könnt total nachhaltig leben. “ Das höre ich immer wieder, natürlich gerne von Freunden aus der Stadt, die es nicht besser wissen (können).
Nun ja. Theoretisch klingt das ganz gut. Aber praktisch? In der Realität ist eben nicht alles Bullerbü bei uns.

Ein Beispiel: Die wenigsten von uns beackern noch die eigene Scholle, aka verdienen ihren Lebensunterhalt als Landwirt*in. Das heißt, wie jede*r andere auch, müssen wir morgens ins Office, die Firma, den Laden. Wie kommen wir da hin? Da unser Arbeitsort in der Regel nicht vor der Tür, sondern in der nächsten (Groß-)Stadt liegt, fällt das Fahrrad schonmal aus. Und öffentliche Verkehrsmittel? Ja, die soll es auf dem Land auch geben. Die Cousine einer Freundin der Schwippschwägerin meines Nachbarn behauptet, am 12.03.2017 mal einen Bus gesehen zu haben, der durchs Dorf fuhr…
Ok, Spaß beiseite. Natürlich gibt es bei uns auch Busse und Bahnen. Aber die Anbindung ist denkbar schlecht. In unserer Straße hält zum Beispiel ein Bus. Aber nur an Schultagen. Und nur morgens, um 6.45 Uhr und um 07.15 Uhr. Und mittags um 11:30 Uhr, 12:30 Uhr und 13:30 Uhr. Für Berufstätige unbrauchbar.
Die Lösung? Wir fahren Auto. Alle. Die meisten Familien, die ich kenne, verfügen über mindestens zwei Kraftfahrzeuge. Jugendliche sind ab 16 mit dem eigenen Motorroller unterwegs, und wenn sie dann den Autoführerschein haben, steht auch ganz schnell die eigene, liebevoll gepflegte, Rostlaube vor der Tür. Da wir in der Regel im eigenen Haus leben und daher keine Parkplatzprobleme haben, stellt das keine größere logistische Herausforderung dar. Klima- und Umweltschutz haben aber leider das Nachsehen.

Nicht ohne meinen Diesel

Und diejenigen von uns, die fernpendeln, also locker 50 km (eine Strecke) oder mehr zur Arbeit fahren, die fahren sogar Diesel-Autos. Ja, Diesel. Ganz böse, ganz schlecht, schlimme Stickoxide, großes Umwelt-Aua. Aber wenn man täglich 100 km oder mehr mit dem Auto abreißt, dann macht sich der immer noch etwas günstigere Diesel-Preis deutlich bemerkbar auf dem Konto. Und der eigene Geldbeutel ist den meisten näher als Umwelt und Klima.

Die mangelhafte Infrastruktur betrifft natürlich nicht nur den öffentlichen Nahverkehr, sondern auch viele andere Lebensbereiche.
Stichwort Shopping: Theoretisch gibt es bei uns natürlich alle möglichen Geschäfte. Praktisch kommt man ohne Auto nicht hin, siehe oben. Zum Glück gibt es ja den Online-Handel: Da findet man wirklich alles, bestellt es bequem mit ein paar Klicks, und dann wird die Ware nach Hause geliefert. Von einem Diesel fahrenden Paketboten. Der leider zweimal wiederkommen muss, weil wir natürlich nicht da sind, wenn er liefert. Alternativ hinterlegt er das Paket beim Nachbarn (gut) oder bei der nächsten Post-Agentur (schlecht, muss man hinfahren). Nachhaltig ist anders.

Und zum Thema Bio-Bauern: Richtig, die gibt es. Was man dort kaufen kann, wird hier vor Ort produziert, die Qualität ist super, es schmeckt gut und macht nebenher noch ein gutes Gewissen. Also doch alles in Bullerbü? Naja, fast. Ich kann natürlich die sechs Kilometer über Berg und Tal zum Bio-Hofladen fahren (Auto) und dort einkaufen. Ich kann mir aber auch einmal wöchentlich von dort eine Biokiste mit dem Inhalt meiner Wahl anliefern lassen. Wie Ihr Euch denken könnt, kommt der Bote nicht mit dem Fahrrad. Sondern mit einem Diesel-Kleinlaster.